անմոռուկ (anmorruk) -Vergißmeinnicht – so heißt das Vergißmeinnicht auf Armenisch
Tag 1
Diese Blume begegnet mir heute überall seit ich in der Nacht in Armeniens Hauptstadt Yerevan gelandet bin.
Ein passendes Symbol für das 100-Jahr-Gedenken an den immer noch von den meisten Ländern der Welt geleugneten Völkermord durch das zugrundegehende Osmanische Reich, dem 1915 und 1916 mehr als 1,5 Millionen Armenier, aber auch Aramäer, Assyrer und chaldäische Griechen zum Opfer fielen.
Anläßlich dieses schwarzen Kapitels der Menschheitsgeschichte haben Regierung und Parlament Armeniens WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, ReligionsvertreterInnen und Aktive aus thematisch arbeitenden NGOs für 2 Tage nach Yerevan eingeladen. Da ich seit dem letzten Jahr im Bundestag den Aufbau einer interfraktionellen Parlamentariergruppe zur Genozidprävention koordiniere, darf ich gemeinsam mit dem CDU-Kollegen Albert Weiler unser Parlament auf dem großen Forum vertreten.
Gerade aus unserer deutschen Position des engen Partners des Osmanischen Reiches im 1. Weltkrieg stehen wir in den Diskussionen des Forums besonders im Fokus, einen wichtigen Schritt gegen die breite Blockade einer internationalen Anerkennung dieses Genozids zu gehen. Frankreich, Schweden, Argentinien, das Europäische Parlament und einige weitere Länder haben diese Anerkennung, die eine wesentliche Grundlage zur Aufarbeitung der traumatisierenden Geschichte für die Armenier darstellt, bereits ausgesprochen. Österreich folgte heute. Nun schauen alle auf unser Land, in dem ja mit der Bundestagsdebatte am Freitag eine Entscheidung ansteht. Als Grüne haben wir einen Antrag zur Anerkennung des Völkermordes eingebracht, ebenso wie die Linken – wir sind gespannt, welche Taten die Koalitionsfraktionen den Ankündigungen und Debatten der letzten Tage folgen lässt. Eine gemeinsame Entschließung des Bundestages wäre der Bedeutung des Themas sicherlich angemessen.
Auf dem Forum wiesen heute zunächst der armenische Präsident Sersh Sargsyan und Karekin II, Catholicos aller Armenier, nachdrücklich darauf hin, dass Leugnung und Straflosigkeit eines Völkermordes destruktiv für Rechststaatlichkeit und Menschlichkeit wirken. Karekin II:“Deutschland kann Vorbild sein, wie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Völkermord Zukunft ermöglicht hat.“ Luis Moreno Ocampo, langjähriger Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes ergänzte:“Wie können wir die heutigen Genozide stoppen, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, 100 Jahre später über einen Völkermord zu sprechen?“Anschließend ging es in 2 Panels mit WissenschaftlerInnen aus aller Welt um die rechtliche, wissenschaftliche und moralische Einordnung der Geschehnisse von 1915 und um die Perspektiven einer Wiedergutmachung an den Opfern bzw. deren Angehörigen. Dass es sich um einen Völkermord nach allen Kriterien der UNO-Übereinkunft handelt, daran gibt es im Ergebnis keinen Zweifel mehr. Vielmehr wurde die hartnäckige Leugnung durch die türkische Regierung in aller Deutlichkeit als „letzte Stufe des Völkermordes“ gegeißelt. Bewegend das Zeugnis der Rwanderin Esther Mujavayo über die Folgen eines Völkermordes für Menschen, Gesellschaft und Wertesystem, aber auch das kulturelle Erbe eines Volkes. Dies wurde auch bei vielen Interventionen von Angehörigen der übrigen 1915 betroffenen Volksgruppen der Aramäer, Assyrer und Griechen mehr als deutlich. Wohltuend war dazu, dass der armenische Präsident bekannt gab, dass das armenische Parlament unlängst explizit die Co-Opferschaft dieser Völker anerkannt hat.
Denn: Zeit heilt die Wunden eines Völkermordes nicht! Vergißmeinnicht!
Tag 2
Nach einem Abendessen der Konferenzteilnehmenden auf Einladung des Armenischen Premierministers Honig Abrahamyan standen am zweiten Tag des Forums bis zum frühen Nachmittag wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Mittelpunkt des Geschehens. Moderiert von der Engländerin Caroline Cox, dem Franzosen Patrick Devedjian und dem Russen Nikolay Ryzhkov hieß es „Parliamentarians against Genocide“. VertreterInnen der Parlamente von fast 50 Staaten oder internationalen Organisationen und Kirchenbünden reagierten in ihren Interventionen auf das Eingangsstatement des Armenischen Parlamentspräsidenten Galust Sahakyan.
Zunächst kamen vor allem ParlamentarierInnen aus Staaten zu Wort, die den Völkermord an den Armeniern bereits offiziell anerkannt haben – so aus Russland, Frankreich, Tschechien oder Uruguay, das diesen Schritt als erstes Land der Welt bereits 1965 gegangen ist. Die stellvertretende griechische Parlamentspräsidentin verknüpfte dabei ihr klares Statement zur Anerkennung aller Völkermorde in aus meiner Sicht nicht so hilfreicher Weise mit der Frage der deutschen Kriegsreparationen an ihr Land. Daneben gibt es in vielen Ländern offenbar – ähnlich wie es sich auch in Deutschland entwickelt – einen Konflikt zwischen Parlamenten, die den Genozid in Armenien anerkannt haben, deren Regierungen diesen aber bisher nicht nachvollziehen. Dies gilt u.a. für Belgien, Schweden oder auch Großbritannien, wo zwar das Parlament und die Teilstaaten Wales und Schottland eine klare Position bezogen haben, die britische Regierung aber noch nicht. Caroline Cox machte in ihrem Statement noch auf zwei andere Themen aufmerksam: die Frage des Selbstbestimmungsrechtes der Region Berg-Karabach und der aktuelle Völkermord in der sudanesischen Blue Nile Region durch die islamische Zentralregierung des Sudan. Auch die Frage der aktuellen grausamen Ereignisse in Syrien und dem Irak – aus beiden Ländern waren übrigens auch Vertreter dabei – und Burma zeigte, dass wir – auch wenn wir mit sehr guten juristischen, politischen und moralischen Argumenten die Völkermorde des letzten Jahrhunderts aufarbeiten (Armenien/Osmanisches Reich, Nazideutschland, Kambodscha, Bosnien, Rwanda) – noch lange nicht an einem befriedigenden Punkt der Zivilisation angekommen sind.
Jubel brandete auf, als der Vertreter des Vatikans, Kardinal Kurt Koch, sein Statement im Auftrag von Papst Franziskus abgab. Dessen deutliche Benennung des Völkermordes an den Armeniern und den weiteren christlichen Völkern im Osmanischen Reich wenige Wochen vor der Konferenz hat der gesamten Debatte um die Nichtverhandelbarkeit der Anerkennung gezielten Genozides durch wen auch immer einen großen Schub gegeben und wird natürlich gerade von den Armeniern sehr hoch geschätzt. Ebenso positiv wurde die aktuelle Entscheidung Österreichs zur Anerkennung des Völkermordes in Armenien aufgenommen. Und auch die Global Greens, die internationale Familie aller Grünen Parteien, hat eine entsprechende Erklärung verfasst.
Ähnliche Erwartungen gibt es natürlich auch an unser Land. Gerade wegen der Komplizenschaft Deutschlands mit dem Osmanischen Reich im 1. Weltkrieg, der u.a. ja auch die öffentliche Debatte um Deutschlands Mitwisserschaft in der damaligen Zeit zum Zensuropfer gefallen war, obwohl warnende und mahnende Stimmen aus Missionars- und Diplomatenkreisen vorhanden gewesen waren, aber auch wegen der ja so positiven Entwicklung Deutschlands in Folge des Schuldanerkenntnisses für den Holocaust und die weiteren Völkermorde der Nazidiktatur u.a. an den Sinti und Roma, verstehen die Betroffenen nicht, warum unser Land auch nach 100 Jahren bis zum gestrigen Tag die klare Anerkennung der gezielten Massaker und Vertreibungen im Osmanischen Reich als Genozid schuldig geblieben ist. Dies wurde auch in verschiedenen Redebeiträgen immer wieder betont. Mein Bundestagskollege Albert Weiler (CDU/CSU) hat dann in seinem Redebeitrag für unsere kleine Delegation deutlich gemacht, dass wir angesichts der für den Abend in Berlin angekündigten Rede von Präsident Gauck und der Bundestagsdebatte am Tag des 100jährigen Gedenkens der Armenier, dem 24. April, guten Mutes sind, als ParlamentarierInnen unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden. Die uns vorliegenden Antragstexte für die Debatte und die öffentlichen Diskussionen der letzten Wochen konnten diese Veränderung in der deutschen Haltung auch entsprechend unterstützen, auch wenn mir persönlich die bisherige, etwas verklausulierte Formulierung im Antrag von CDU und SPD bisher noch nicht klar genug ist. Immerhin taucht der Begriff des Völkermordes darin endlich auf – ein Faktum, dessen Bedeutung für die Angehörigen der Opfer nicht hoch genug eingeschätzt werden darf. Dieses Thema muss uns Deutsche im übrigen auch bezüglich des Genozids an den Herero in Namibia durch die deutsche Kolonialmacht im Jahr 1905 dringend weiter beschäftigen.
Besonders mutig in der Debatte waren ein türkischer Vertreter, der den Mut aufbrachte, sich öffentlich anders als seine Regierung zu positionieren, und ein bulgarischer Abgeordneter, der trotz gegenteiliger Aufforderung seiner Regierung nach Druck von den türkischen Nachbarn ans Mikrophon ging.
Armeniens Außenminister Edward Nalbandian setzte mit zwei klaren Formulierungen den Schlusspunkt des Globalen Forums. Die Leugnung eines Genozids ist wie das Offenlassen einer blutenden Wunde, die man nicht verbindet. Und Leugnung öffnet eben keine Tür zur Versöhnung, sondern den Weg zu neuen Genoziden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Abschließend wurde dann einmütig die Deklaration von Yerevan per Akklamation angenommen.
Den Nachmittag verbrachten die internationalen Gäste dann gemeinsam mit vielen anderen Menschen, weiteren Staatsgästen und kirchliche Würdenträgern bei der feierlichen Kanonisierung (Heiligsprechung) der armenischen Opfer des Völkermordes durch die beiden höchsten Vertreter der Armenischen Kirche, den Catholicos aller Armenier Karekin II, und den Catholicos von Cilicia, Libanon. Im historischen und heutigen Zentrum des armenischen Christentums ETCHMIADZIN 20 km westlich von Yerevan wurden in einer feierlichen Zeremonie unter Beteiligung der 12 Bischöfe der armenischen Kirche 2 Ikonen, die die Völkermordopfer symbolisieren, geweiht. Ein bewegender Moment für dieses kleine Land und seine Menschen, von denen viele von überall in der Welt angereist waren. Viele weitere wurden aus den armenischen Gemeinden der ganzen Welt per Liveübertragung zugeschaltet.
Am Abend gab es dann in Yerevans Innenstadt auf dem Platz der Republik ein OpenAir-Rockkonzert mit der Gruppe „System of a Down“. Trotz strömenden Regens, sogar eines kurzen Gewitters, waren Hunderttausende Menschen dabei.
Für mich ging dann in der Nacht meine Reise schon wieder zu Ende, um am Freitagmorgen (fast) pünktlich zur Armeniendebatte im Plenum sein zu können.
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