Flüchtlinge, Schutzgewährung, Fluchtursachenbekämpfung
Gibt es noch eine Vision für die Politik? – Eine Anhörung vor der Bundestagswahl
„Europa ist die Heimat der Menschenrechte. Flüchtlinge sind keine Welle und erst recht auch keine Flut, sondern sie sind Menschen wie wir alle“. Das schreibe nicht ich, sondern diese beiden Sätze sprach Papst Franziskus I. vor vier Jahren auf der italienischen Insel Lampedusa, als er das Elend der dort gestrandeten Geflüchteten öffentlich anprangerte. Der Papst war damals schon weiter als die Bundesregierung es heute ist, denn die Große Koalition schottet sich immer mehr von der Welt ab.
Es werden derzeit Bilanzen gezogen, und Programme für die nächsten vier Jahre kommen auf den Tisch. Die bei uns Schutz suchenden Flüchtlinge führen uns die Unübersichtlichkeit einer globalisierten Weltgesellschaft vor Augen. Die Debatte über den Umgang mit ihnen scheint rechtsradikale Tendenzen an die Oberfläche zu spülen. Entsteht eine Sinnkrise der Demokratie? Was gibt zu denken und zu tun, um die charismatische Energie einer Willkommenskultur aufrecht zu erhalten? Gemeinsam mit Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin haben Klaus Hagedorn vom Forum St. Peter in Oldenburg und der ehemalige Referent für Migrationssozialarbeit des Diakonischen Werkes, Theo Lampe , diese Fragen gestellt.
Klasse, dass sie diese Fragen gestellt haben, denn so konnte ich unsere GRÜNE Position vor mehr als 120 Menschen darlegen: Wir brauchen endlich eine humane und integrative Asylpolitik mit fairen Asylverfahren. Angesichts von weltweit über 65 Mio. Menschen auf der Flucht ist die Abschottungspolitik der EU völlig inakzeptabel. Während US-Präsident Trump dafür kritisiert wird, eine Mauer an der Grenze zu Mexico bauen zu wollen, sind kaum überwindbare Zäune in der EU längst harte Realität (Ungarn, Ceuta, …). Schlimmer noch: Durch ein mehr als fragwürdiges Abkommen mit der Türkei wurde die sogenannte Balkanroute für Menschen auf der Flucht weitestgehend geschlossen (unter Stabilisierung einer Regierung in der Türkei, deren Umgang mit Menschen- und Flüchtlingsrechten mehr als zweifelhaft ist). Die Geflüchteten werden nun auf die weitaus gefährlichere Route über das Mittelmeer genötigt, wo sie auf die Seenotrettung durch diverse Organisationen von Ehrenamtlichen (Seawatch, SOS Méditerrané, Sea-Eye, Jugend hilft, MSF, …) angewiesen sind. Tausende ertrinken trotzdem vor unseren Augen und die Bundesregierung definiert als oberste Aufgabe die Bekämpfung der Schleuser und Schlepper, die nur durch die Abschottungspolitik der EU überhaupt ein Geschäftsmodell haben. Das ist hochgradig zynisch und ein echter politischer und menschenrechtlicher Skandal.
Wir brauchen schnellstmöglich auf europäischer Ebene eine rechtsstaatliche Nachfolgeregelung des gescheiterten Dublin-Abkommens, in dem eine humanitäre Aufnahmepolitik mit einer gerechten innereuropäischen Lastenverteilung inklusive Resettlementquoten geregelt wird. Bisher allerdings fehlt von Seiten der Bundesregierung hierzu leider jegliches erkennbare Engagement in Brüssel. Selbst die mit Griechenland vereinbarten, schon viel zu kleinen, Aufnahmekontingente werden von Deutschland nicht erreicht.
Daneben müssen endlich legale Einreisewege für Menschen auf der Flucht (Fähren, Asylantragsstellung in Botschaften der Nachbarländer, …) und für Migrant*innen (Einwanderungsgesetz) geschaffen werden und die internationalen Organisationen (UNHCR, WFP, …) finanziell stärker unterstützt werden, die Geflüchteten in den Camps überall auf der Welt das Überleben sichern.
Voraussetzung für eine gelingende Integration ist darüber hinaus natürlich die Wiederherstellung des uneingeschränkten Rechts auf Familienzusammenführung für Geflüchtete. Die aktuelle gesetzliche Regelung – insbesondere bzgl. der Menschen, die nur „subsidiären Schutz“ zugebilligt bekommen haben – widerspricht aus meiner Sicht dem verfassungsgemäßen Schutz der Familie, ist aber auch ein echtes Integrationshemmnis. Wie soll ein Mensch, der sich permanent Sorgen um Frau und Kinder machen muss, den Kopf frei haben, um eine fremde Sprache zu lernen oder sich in eine Nachbarschaft zu integrieren?
Und hier in Deutschland brauchen wir ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben für Geflüchtete. Ja, wir brauchen dazu eine weitere Stärkung der Integrationsangebote von Sprachkursen und Schulsozialarbeit ebenso wie weitere Verbesserungen bei der Integration in den Arbeitsmarkt (Wegfall der Vorrangprüfungen, Anerkennung von Zeugnissen und Zertifikaten, …) und in vielen Regionen ein verbessertes Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Bei diesen Forderungen wird schnell deutlich, dass hiervon nicht nur die Geflüchteten profitieren würden, sondern insgesamt der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, also wir alle. Notwendig dazu ist, dass die Bundespolitik ausreichend Mittel dort zur Verfügung stellt, wo sie gebraucht werden – insbesondere auf der kommunalen Ebene. Eine „schwarze Null“ in Berlin nützt dabei recht wenig.
Und selbstverständlich müssen wir ein gutes Zusammenleben ohne Rassismus und Diskriminierung fördern. Dazu gehören eine weitestgehend dezentral organisierte Wohnsituation für die Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, ebenso wie der oben bereits angesprochene Ausbau der Schulsozialarbeit und eine gelingende Integration in die Arbeitswelt. Sport, Kultur und Nachbarschaftsstrukturen brauchen dazu lokal basiert unsere Unterstützung.
Was ist mit der überall postulieren Fluchtursachenbekämpfung?
Die Welt braucht – gerade angesichts der immer mehr abdriftenden zentrifugalen Kräften von Trump über Putin bis Erdogan und schlimmstenfalls auch Kim Jong-un – eine neue internationale, demokratisierte Sicherheitsarchitektur. Bei aller Kritik an den komplexen Prozessen innerhalb der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen sehe ich keine Alternative zur Stärkung und Weiterentwicklung dieser Strukturen. Dabei müssen auch alte Zöpfe – wie das Vetorecht der Siegermächte des zweiten Weltkriegs im Weltsicherheitsrat – in Frage gestellt werden. Angesichts multipolarer Konflikte und zerfallender Staaten vielerorts wird es keine Alternative zu massiv verstärkter Diplomatie und einem global-multilateral organisierten Gewaltmonopol geben. Dahin ist es ein langer Weg, zu dem auch immer wieder schwer aushaltbare Dilemmata gehören werden. Die Geschichten von Somalia über Afghanistan, den Irak bis Libyen zeigen doch deutlich, dass ein von außen organisierter Versuch des Regime-Changes im Effekt die Lage für die Zivilgesellschaft regelmäßig weiter verschlimmert.
Auf der Ebene der Fluchtursachen, die über Kriege, Bürgerkriege und innerstaatliche Menschenrechtsverletzungen hinaus gehen, ist zunächst die sich immer weiter verschärfende Klimakrise zu bekämpfen. Gerade die wirtschaftlich marginalisierten Menschen des globalen Südens bekommen deren Auswirkungen schon heute in existenzbedrohender Weise zu spüren. Die Genfer Flüchtlingskonvention wie auch die deutsche und europäische Politik habe darauf bis heute keine Antwort, obwohl das Problem seit langem bekannt ist. Internationaler Klimaschutz ist insofern auch aktive Fluchtursachenbekämpfung.
Daneben müssen Außen-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik die weltweite Sicherstellung der sozialen Menschenrechte, vor allem auch der Arbeitnehmerrechte (ILO-Kernarbeitsnormen etc.) endlich über verbindliche Vereinbarungen in den Blick nehmen. Freiwilligkeit ist da angesichts der gravierenden Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in der Arbeitswelt nicht ausreichend. Das kann man auf den Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste ebenso sehen wie in den Textilfabriken Bangladeshs oder der Fleischindustrie Südoldenburgs. Erstaunlich, dass gerade auch die Unternehmen, die Vorreiter sein wollen und sich zunehmend freiwilligen Initiativen anschließen, sich immer noch schwer tun, verbindlich Verantwortung für die Einhaltung von Mindeststandards für ihre gesamte Lieferkette zu übernehmen. Gerade sie würden ja von einem staatlich garantierten „Level Playing Field“ profitieren können.
Auch im Rahmen der internationalen Handelsabkommen mit bisher fehlenden Sozial- und Ökostandards, z.B. bei der WTO oder auch den bilateralen (Frei-) Handelsabkommen, in denen in der Regel verbindliche Festlegungen u.a. zu den ILO-Kernarbeitsnormen bzw. zu deren sanktionsbewehrter Durchsetzung fehlen, gibt es viel Arbeit.
In beiden Feldern kann und muss eine zukünftige Bundesregierung endlich mehr Verbindlichkeit in die Wirtschaft bringen. Denn nur fairer Handels ist freier Handel. Diese Forderung macht sich seit Jahren auch der CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller berechtigterweise zu eigen. Leider ohne praktische Konsequenzen, denn die Regierung, der er angehört, unterstützt weiterhin reine Freihandelsabkommen wie CETA, TTIP oder TiSa und hat die europäischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit vielen Ländern des globalen Südens mit vorangetrieben. In diesen Abkommen fehlen leider jegliche Ansatzpunkte zu einer fairen Ausrichtung der Handelsbeziehungen.
Zukünftig muss gewährleistet werden, dass bilaterale und internationale Handelsabkommen an den Interessen der Menschen und nicht vorrangig an denen der großen Player des Welthandels ausgerichtet sind. Soziale Mindeststandards und eine klare Ausrichtung an der Ernährungssouveränität der Menschen des globalen Südens müssen gegenüber den europäischen/deutschen Interessen der Sicherung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten in den Vordergrund rücken. Dazu reicht es eben nicht aus, dass der Entwicklungsminister dies proklamiert, sondern das muss – auch im Sinne des „Leave no one behind“-Postulats der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) – gemeinsame Politik aller Ministerien sein.
Sehr konkret kann dies schon heute durch eine konsequente faire Beschaffung, die zum Standard werden muss, geschehen. In der Tat – staatliche und kommunale Institutionen verfügen über ein jährliches Beschaffungsbudget von über 300 Mrd. EUR. Rechnet man dann noch die Einkaufsmacht aller Trägerorganisationen des Fairen Handels (z.B. der Kirchen mit ihren Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten, etc.) hinzu, ergibt sich ein enormes Veränderungspotential für unsere Handelsströme – und damit auch für die Produktionsverhältnisse weltweit. Hier müssen wir viel konsequenter werden.
Es ist nicht vermittelbar, wenn wir als Staat über Entwicklungshilfe die Lebensbedingungen von Bauern im Kohlerevier Kolumbiens fördern wollen, gleichzeitig aber Energieunternehmen in staatlicher oder kommunaler Hand billige Kohle von genau den Unternehmen kaufen, die den Bauern ihr Land rauben. Auch der Einsatz für den Regenwald in Indonesien ist nicht glaubwürdig, wenn gleichzeitig Palmöl von Plantagen auf gerodetem Regenwald unserem Benzin beigemischt wird. Ähnliche Beispiele lassen sich im Textilbereich (Arbeitskleidung,Uniformen, Bettwäsche, …), im Bereich des Blumenschmucks oder des Caterings in Ämtern oder bei öffentlichen Veranstaltungen (nicht nur Kaffee, Tee, Schokolade) leicht finden.
Das europäische Ausschreibungsrecht hat die Türen für soziale Kriterien im Ausschreibungswesen längst geöffnet. Wir müssen es zum Standard auf allen Ebenen machen, dass diese auch genutzt werden.
Und: Entwicklungspolitik muss Kleinbäuer*innen fördern. Wollen wir die weiter wachsende Weltbevölkerung ernähren, müssen wir die kleinbäuerlichen Strukturen dringend stärken, denn nur so wird es möglich sein, Resilienz gegen die Risiken großer Monokulturen zu entwickeln und lokale Märkte zu stärken. Wir benötigen eine Agrarpolitik, die eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft fördert.
Entwicklungspolitik steht nie für sich allein, sondern ist auf Kohärenz mit den anderen Handlungsfeldern der Politik angewiesen. Dabei kommt gerade der Agrarpolitik eine herausragende Bedeutung zu, weil sie direkt mit den Lebensverhältnissen der Menschen im globalen Süden zusammenhängt. Die Weltmarktausrichtung der europäischen Landwirtschaft stellt dabei für manche Kleinbäuer*innen eine direkte Bedrohung dar, weil Produkte aus subventionierten EU-Betrieben in Konkurrenz zu deren Produkten stehen. Eine weitere Gefahr für viele Kleinbäuer*innen besteht im Landgrabbing, das heißt dem Aufkaufen von Agrarland durch multinationale Agrarkonzerne oder Staaten. Immer größere Strukturen mit den einher gehenden Prozessen der Standardisierung und Verarmung von Saatgut-Diversität schwächen zudem die Widerstandsfähigkeit der Agrarproduktion gegenüber Schädlingsbefall und den Folgen der Klimakrise.
Der Fokus internationaler Agrarpolitik muss also auf den Erhalt vielfältiger bäuerlicher Strukturen gelegt werden. Damit diese überleben können, müssen sie deutlich mehr Unterstützung bei der Ökologisierung ihrer Produktion oder auch dem Erhalt traditionellen Wissens um ökologische Landwirtschaft bekommen, anstatt sie in die Abhängigkeit von großen Saatgut-, Düngemittel- und Pestizidherstellern, schlimmstenfalls sogar von Gentechnikunternehmen, zu treiben.
Konsequent müssen wir die Macht von global agierenden Konzernen eindämmen und unfaire Handelspraktiken verbieten. Staaten des globalen Südens muss es möglich sein, Wirtschaftsbereiche der Daseinsvorsorge (z.B. der Wasserversorgung) und der Ernährungssouveränität vor dem Zugriff durch Konzerne zu schützen. Entsprechend müssen Handelsabkommen geändert werden, um die Einklagbarkeit von unbeschränkten Marktzugängen zu verhindern.
Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang ist auch das internationale Steuerrecht. Mit Sonderrechten in Freihandels- oder Sonderzonen oder durch konzerninterne Verrechnungen gehen Staaten im großen Stil Steuereinnahmen verloren, die dringend u.a. im Bildungs- und Gesundheitssektor benötigt würden.
Keine Fluchtursachenbekämpfung ist dagegen die Bekämpfung von Fluchtwegen durch fragwürdige Grenzverstärkungsprojekte mit afrikanischen Despoten.
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